Brexit

Redaktion "der rechte rand" im Gedenken an die ermordete Jo Cox

Magazin »der rechte rand« - Ausgabe 161 - Juli 2016

antifa Magazin der rechte rand
Jo Cox memorial Parliament Square, London CC BY-SA 4.0 Philafrenzy

Denkbar knapp hat sich Großbritannien in einem Referendum am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der »Europäischen Union« (EU) entschieden. 51,89 Prozent der WählerInnen stimmten für den Brexit, 48,11 Prozent für den Verbleib im europäischen Staatenbund. Regional fiel die Entscheidung teils sehr unterschiedlich aus. London, Nordirland und Schottland stimmten mehrheitlich für den Verbleib, der Rest des Landes dagegen. In dem traditionell europaskeptischen Land schwand in den letzten Jahren die Zustimmung – nun ist Großbritannien das erste Land, das aus der Union aussteigt.

Das neuerliche Referendum hatte Großbritanniens Premierminister David Cameron ins Spiel gebracht, um die zunächst auch von ihm vertretene EU-Kritik in Teilen seiner »Conservative Party« ruhigzustellen. Umgehend nach der verlorenen Abstimmung verkündete der Pro-Europäer seinen Rückzug, da er die Regierung mit dieser Entscheidung nicht mehr führen könne und wolle. In den letzten Wochen vor der Abstimmung wurde die tiefe Spaltung der Konservativen, der »Tories«, immer deutlicher: ein neoliberaler Flügel, der für den Verbleib in der EU warb (»Remain«), und ein Flügel, der nahe am Kurs der rechtspopulistischen »UK Independence Party« (UKIP) segelte. Die politische Trennlinie in dieser Frage verläuft quer durch die Mitgliedschaft, die Fraktion und die Regierungsmitglieder der Konservativen – auch nach dem Referendum.

Eindeutig fiel die Reaktion der europäischen Rechten aus: Marine Le Pen, Vorsitzende des »Front National« (FN) schlägt verbale Brücken zum »Arabischen Frühling« und sieht den »Frühling der Völker« als »unvermeidlich« heraufziehen. Aus Österreich gratuliert Heinz-Christian Strache, Bundesparteiobmann der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ), »den Briten zu ihrer wiedererlangten Souveränität.« Ähnliche Töne schlägt Matteo Salvini von der »Lega Nord« an: »Danke Großbritannien, endlich verändert sich Europa«, und »Europa hat jetzt die Gelegenheit sich von der Europäischen Union zu befreien«. Die »Alternative für Deutschland« (AfD) äußert sich etwas reservierter, sieht die Sache aber wie ihre Brüder und Schwestern im Geiste: »Die europäische politische Elite verweigert sich hartnäckig der Lektion aus England. Die EU wird delegitimiert, weil sie in allen Belangen versagt hat.« Einzig Beatrix von Storch lässt sich etwas gehen und gesteht im Fernsehinterview, dass sie »vor Freude« geweint habe.

Kampagnenpartei

Eine treibende Kraft für den Brexit war die rechte Kampagnenpartei UKIP unter ihrem bisherigen Vorsitzenden Nigel Farage. 1993 gegründet, arbeitete die Partei fast 25 Jahre auf den Bruch mit der verhassten EU hin. Auf das Referendum war die Partei bestens vorbereitet. Ihr Agieren bestand im Kern aus einer rechten Kampagne gegen die EU. Hetze gegen MigrantInnen und gegen Menschen islamischen Glaubens, für den Erhalt der »britischen Kultur«, Abkehr vom Klimaschutz oder Verschärfung des Strafrechts – das Programm von UKIP gewann zuletzt an Attraktivität; auch vor dem Hintergrund islamistischer Anschläge und der geschürten Furcht vor Zuwanderung nach Europa. Die steigende Zustimmung ließ sich an den Wahlurnen ablesen – bei Kommunalwahlen und vor allem bei den Wahlen zu jenem Parlament, das so vehement bekämpft wird, dem Europaparlament. Während die Partei bei den Europawahlen 1994 nur ein Prozent der Stimmen und keinen Sitz bekam, waren es 1999 schon sieben Prozent und drei Mandate. 2004 wurden es 16,8 Prozent, und 2009 reichten 16,5 Prozent für UKIP zur zweitstärksten Partei. 2014 kam für die Rechtspartei der endgültige Durchbruch: Mit 26,6 Prozent wurde sie bei den Europawahlen stärkste Kraft in Großbritannien. 24 Abgeordnete vertraten die Partei seitdem im Europaparlament. Seit 2009 arbeitete UKIP in der Fraktion »Europa der Freiheit und der Demokratie« (seit 2014 »Europa der Freiheit und direkten Demokratie«, EFDD) – unter Farage im Fraktionsvorsitz – mit verschiedenen rechten Parteien zusammen, unter anderem der »Lega Nord« (Italien), der »Dänischen Volkspartei« (DF) oder der »Slowakischen Nationalpartei«. Aus Deutschland gehört seit kurzem Beatrix von Storch (AfD) der Fraktion an. Neben den sicheren Finanzeinnahmen für Abgeordnete und Fraktion nutzte Farage das Parlament für Attacken gegen die EU und ihre offiziellen RepräsentantInnen.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Auf nationaler Ebene hingegen blieb UKIP aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts bei Wahlen bisher eher erfolglos, obwohl sie bei den Unterhauswahlen im Mai 2015 immerhin 12,6 Prozent der Stimmen bekam und mit einem Abgeordneten im Parlament sitzt.

Rechtspartei

Ein grober Blick auf UKIP zeigt Parallelen zur deutschen »Alternative für Deutschland« (AfD). Im Vordergrund stand lange Zeit eine vereinfachte und holzschnittartige Kritik an Europa, seinen Institutionen und seiner Politik. In den Reihen beider Parteien fanden sich immer wieder Neonazis, offene RassistInnen, Waffen-Narren sowie Intellektuelle und AktivistInnen anderer Organisationen der extremen Rechten – ohne jedoch die Parteien in Gänze zu dominieren. So sind weder UKIP noch die AfD in ihrer Gesamtheit faschistisch oder neonazistisch, enthalten aber relevante Bausteine faschistischer Bewegungen. Das Potential der WählerInnen reicht dabei weit über das klassische Spektrum der Rechten hinaus. Gesellschaftliche Mobilisierungen, vor allem beim Thema Zuwanderung, aktivieren WählerInnen. Dabei stehen die beiden Parteien immer auch in einem interessanten Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz zu den konservativen und bürgerlichen Parteien, die zwischen Abgrenzung, begrenzter Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Übernahme von Positionen changieren. Beide Parteien, AfD und UKIP, konnten ihren Erfolg in einer Phase beginnen, als es im Spektrum des etablierten Konservatismus nachhaltig rumorte und die alten Koalitionen der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr hielten. Und so schaffen sie es, ein klassenübergreifendes und reaktionäres Bündnis von Mob und Elite an die Wahlurnen und auf die Straßen zu bringen – gegen Europa, gegen den Sozialstaat, gegen Geflüchtete, gegen Linke und gegen die Idee von Moderne und Gleichheit.

Rechter Anschlag

In den Wochen vor dem Referendum verschärfte sich der Ton. Der populäre konservative, ehemalige Bürgermeister von London, Boris Johnson, stieß zur »Leave«-Fraktion. Die Hetze gegen Flüchtlinge aus islamischen Ländern, gegen ArbeitsmigrantInnen vor allem aus Osteuropa und die Stimmungmache für die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität (»Wir wollen unser Land zurück«) waren die rechten Parolen von UKIP und Co. Trauriger und brutaler Höhepunkt des Wahlkampfes war der Mord an der antirassistischen Abgeordneten Jo Cox (»Labour Party«) am 17. Juni 2016, die sich deutlich gegen den Brexit positioniert hatte und eine wichtige Unterstützerin des linken Labour-Chefs Jeremy Corbyn war. Unter dringendem Tatverdacht wurde der über 50-jährige Thomas Mair verhaftet. Er ist Sympathisant und Aktivist der extremen Rechten. Während der Tat rief er »Britain First«, ein Indiz für seine nationalistische Gesinnung und ein Verweis auf eine gleichnamige Organisation. Mair hatte in der Vergangenheit Terror-Anleitungen bestellt und ist auf Fotos bei öffentlichen Auftritten rechter Gruppen zu sehen. Die Parallelen der Tat zum versuchten Mord an Henriette Reker im Oktober 2015 während des Wahlkampfes in Köln sind unübersehbar. Eine Monate dauernde öffentliche Debatte und Hetze um ein auch emotional besetztes Thema der Rechten führte am Ende zur Tat. In beiden Fällen fühlte sich ein in den 1990er Jahren politisierter Neonazi dazu berufen, ein Fanal zu setzen.

Krise

Die Entscheidung Pro-Brexit hat das Land in eine Krise gestürzt – in eine ökonomische, eine politische und eine gesellschaftliche. Die sozialen Versprechungen von UKIP als Begründung für den EU-Ausstieg, zum Beispiel mehr Geld für das gebeutelte Gesundheitswesen, wurden sofort nach der Wahl kassiert – sie entpuppten sich als Wahlkampf-Lügen. Politisch sind das Land und die gesamte Gesellschaft gespalten – nicht nur die Konservativen, sondern auch die Linke. Gleich nach dem Referendum verabschiedeten sich die drei Hauptfiguren des Wahlkampfes von der politischen Bühne. Cameron hat als Verfechter des Verbleibs in der EU verloren, Johnson verlor einen internen Machtkampf bei den »Tories« und wurde von der neuen Premierministerin Theresa May am 13. Juli zum Außenminster ernannt. Und Nigel Farage? Nun, er wolle »sein Leben zurück« und trat vom Vorsitz der UKIP zurück. Sein Mandat als Europaabgeordneter möchte er hingegen nicht niederlegen. Die Umsetzung für die maßgeblich von ihnen forcierte Entscheidung wollen sie nicht tragen, den Austritt Großbritanniens aus der EU nicht organisieren, die Verhandlungen nicht führen müssen. Sie hinterlassen der Gesellschaft ein durch Hetze und Lügen vergiftetes Klima.

Erste Auswirkungen hat die Brexit-Kampagne bereits: Laut dem »National Police Chiefs’ Council« sind allein die offiziell registrierten »Hate-Crimes« nach dem Referendum sprunghaft angestiegen. Rassistische Pöbeleien, Drohungen, Schläge – betroffen davon sind alle, die nicht in das Bild der »echten Briten« passen: OsteuropäerInnen, Menschen -jüdischen oder islamischen Glaubens, Menschen mit Vorfahren außerhalb Großbritanniens. »Wir sind möglicherweise geschockt, aber wir sollten nicht überrascht sein«, fasst die antifaschistische und anti-rassistische Organisation »Hope not Hate« die Ereignisse auf ihrer Website zusammen. »Die giftige Art und Weise der Debatte um das Referendum hat tief sitzenden Hass entfesselt.« Und den Worten folgen Taten.