Zwei Jahre Pandemie

von Sören Frerks
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022

Nachdem die PEGIDA-Bewegung an Mobilisierungskraft verloren hat, sehnt die »Neue Rechte« mit den Corona-Protesten die nächste Chance zur nationalen Revolte herbei.

Antifa Magazin der rechte rand
QAnon Fahne in Berlin © Mark Mühlhaus / attenzione

Wer in die Reihen der gegenwärtigen Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen schaut, bekommt den Eindruck, dass vor allem eine Mischszene von der »Alternative für Deutschland« (AfD) über Neonazis bis zu rechten Hooligans versucht, darin zum Taktgeber zu werden. Mancherorts führen Rechte die Aufmärsche an oder setzen diese wie zum Beispiel in Bautzen, Greiz und Cottbus gegen die Polizei durch.
Bei den Ideolog*innen und Propagandist*innen der »Neuen Rechten« nährt das die Sehnsucht nach einem Volksaufstand. Auf die Ernüchterung nach den PEGIDA-Jahren folgte in der Pandemie ein neuer Impuls – auf den Straßen und in der neurechten Diskussion. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass sich für sie ihre eigenen Prophezeiungen bewahrheiteten – zumindest in Momentaufnahmen.

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Erst Skepsis, dann Größenwahn
Neun Tage nach Ausrufung der Pandemie in der Bundesrepublik meinte der Querfront-Phantast Heino Bosselmann in »Sezession«: »Stellt sich innerhalb des nächsten Monats nicht die‚ von der ›Wissenschaft‹ prognostizierte Durchseuchung mit all ihren furchtbaren Folgen ein, werden sich die Menschen die massiven Einschränkungen ihrer Grundrechte nicht mehr bieten lassen. Ihre Angst dürfte zunächst in kecken Unmut, dann aber in Widerstand umschlagen. Das würde die Gesellschaft spürbar verändern, mit unklarer Prognose.« Die Pandemie wurde immer mehr zum nationalrevolutionären Fanal auserkoren, damals noch verbunden mit einer gewissen Demut vor dem, was kommen könnte: »Nur schreibt sich das eben allzu leicht hin, solange man nicht intubiert ist oder (…) auf ein Bett in der Intensivstation hofft.«


Spätestens der herbeigewünschte und letztlich doch gescheiterte »Sturm auf den Reichstag« im August 2020 machte die Marschrichtung klar. »Fast jeder wird sich auf den Weg machen«, um »in Millionenstärke etwas auf die Straße« zu bringen, begeisterte sich die angegraute Eminenz des neu-rechten »Instituts für Staatspolitik«, Götz Kubitschek. Sein Ziel wie so oft: »den Protest zu verstetigen«.
Obwohl solch rechte Herren ihre eigenen Selbstüberschätzungen regelmäßig in elitärer Skepsis ertränken, schüren die Aufmärsche und deren Kontinuität den Wunsch nach dem Aufstand. Und so wünscht der »Sezession«-Verleger Kubitschek: »Hoffen wir, dass nach jeder Demonstration, nach jeder neuen Zwangsmaßnahme wieder tausend Bürger diesem Staat verlorengehen.«

Persönliche Wahrheiten
Der »Compact«-Chefredakteur Jürgen Elsässer wiederum entledigte sich erst jüngst der wissenschaftlichen Evidenz von weltweit bald sechs Millionen erfassten Toten durch COVID-19 anhand seines eigenen Krankheitsverlaufs. Der Tenor: Die »Panik-Medizin halluziniert« die Gefahr herbei und ohnehin habe die fehlende Impfung sein persönliches Risiko für einen schweren Verlauf gesenkt. In Wirklichkeit sei alles eine »Corona-Inszenierung« des Staates, dem er sowieso »abgrundtiefes Misstrauen« entgegenbringe – sei es nun bei BSE, Schweinegrippe oder der Pandemie. Nicht ohne zu betonen: »Das BRD-Regime ist schwach und hält sich nur an der Macht, weil sich zu Viele zu wenig trauen.« Schon ist man mitten drin in der Welt der Verschwörungserzählungen und so wird aus jeder Krise ein Anlass zur Revolte.


Versucht die »Sezession« den Schein der seriösen Debatte zu wahren, ist bei »Compact« die Vulgarität Elsässers ständiger Aufmacher. Das neue personifizierte Feindbild ist vor allem der jetzige Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der das Cover (2/2022) mit einem stilisierten Hitlerbart ziert. Vor einem Jahr fragte der Titel gar rhetorisch: »Wollt ihr den totalen Lockdown?«, passend zur Holocaust-Relativierung durch »Judensterne« mit der Aufschrift »ungeimpft« auf den Corona-Märschen. »Compact« gibt sich propagandistisch als Mobilisierungsblatt – eine Ausrichtung, die sich bezahlt machen dürfte. Mit geschätzt mehreren zehntausend verkauften Exemplaren hat das Magazin die größte Strahlkraft im gesamten Rechtsaußen-Milieu.

Futter für die Straße
Die einst fabulierte Distanz zwischen der »Neuen Rechten« und der gewaltförmigen Praxis, so es sie überhaupt gab, ist längst Geschichte. In einer »Compact«-Ausgabe zeigt sich Elsässers Kumpane Martin Sellner zufrieden mit den Auseinandersetzungen auf den Straßen gegen die »biopolitische Diktatur«: »Die Corona-Proteste haben sich gewandelt (…) und sind kämpferischer geworden.« Nicht ohne im Folgenden indirekt Empfehlungen für das Agieren zu geben und zu fabulieren: »Es darf keinen zweiten ›Reichstagssturm‹ geben«, der »in einer sinn- und folgenlosen Aktion verpufft«. Soll heißen, ganz oder gar nicht. Dazu passt, dass Sellners »Identitäre Bewegung« die Aufmärsche zum Anlass nimmt, ihr gescheitertes Biedermeier-Image abzulegen. Gerade in Cottbus, wo »Identitäre«, AfD und Neonazi-Hooligans eng zusammenstehen, haben sich die Reihen weiter geschlossen. Der Kampf um die Straße und die Parlamente, den schon die NPD propagierte, ist in der Debatte und der Agitation der »Neuen Rechten« in vollem Gange.