Die kommunalen Kandidaturen und drohende Wahlerfolge der extremen Rechten

von Tilo Giesbers
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 207 - März | April 2024

Antifa Magazin der rechte rand

Wie in @derrechterand Ausgabe 206 dargestellt, drohen nach den anstehenden Kommunalwahlen in vielen Räten verheerende Mehrheitsverhältnisse. Parallel zu den Europawahlen am 9. Juni finden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland Kommunalwahlen statt. In Hamburg werden außerdem die Bezirksvertretungen gewählt. Schon vor knapp zwei Wochen wurde in Thüringen abgestimmt. Insgesamt werden in diesem Jahr voraussichtlich mehr als 125.000 Mandate in rund 12.500 kommunalen Gremien gewählt. Eine Handvoll Wahlen sind in den Herbst verschoben worden.
Erwartbar dominiert die AfD auch bei diesem Wahlen das extrem rechte Spektrum. In den letzten Jahren hat die Partei ihre Strukturen in der Fläche weiter ausgebaut, und nach einem Einbruch steigt seit mindestens 2023 auch die Zahl ihrer Mitglieder wieder. Ausdruck dessen ist, dass die Zahl der Gremien mit AfD-Kandidatur im Vergleich mit den vorigen Wahlen 2019 um mehr als die Hälfte, die Zahl der Kandidat*innen sogar um mehr als 70 Prozent zugenommen hat. Nach bisherigem Stand der Daten gibt es insgesamt mindestens 12.175 AfD-Kandidat*innen für 1.635 Gremien von den Bezirken (Stuttgart und Pfalz) bis hinunter zu den Gemeindeteilen. In denselben Bundesländern waren es bei den Wahlen vor fünf Jahren mindestens 7.114 Kandidat*innen für 1.074 Gremien. Auch die absolute Zahl der AfD-Kandidat*innen hat nach Abzug von Mehrfachkandidaturen (etwa Kreistag und Stadtrat oder Gemeinde- und Ortschaftsrat) von 5.135 auf 8.421 um mehr als 60 Prozent zugenommen.

Bundesländer
Wie vor fünf Jahren liegt die Zahl der AfD-Kandidat*innen in Baden-Württemberg vor der in Sachsen, was im Wesentlichen darauf zurückzuführen sein dürfte, dass das Land gut 2 ½ Mal so viele Einwohner*innen und zu wählende Gremien hat.
Die Steigerung der Zahl der AfD-Kandidat*innen liegt mit 38 Prozent in Rheinland-Pfalz und knapp 47 Prozent in Sachsen besonders niedrig. Die Gründe sind verschieden. In Rheinland-Pfalz gibt es in weit über der Hälfte der Kommunen traditionell keine oder nur eine Parteiliste. Bei den dann durchzuführenden »Mehrheitswahlen«  können alle wählbaren Personen gewählt werden. Dadurch gibt es hier eine relativ hohe Dunkelziffer. In Sachsen waren die AfD-Strukturen schon 2019 so weit ausgebaut, dass sie ihre Präsenz dort nicht mehr in dem Ausmaß steigern konnte wie in anderen Ländern. Besonders drastisch aufgeholt haben mit einem Anstieg um 113 bzw. 115 Prozent Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

Geschlechterverhältnis
Die Zahl der Kandidierenden ist bei den Frauen stärker als bei den Männern gestiegen. Ihr Anteil liegt nun rund 3,5 Prozent höher als 2019 bei knapp 21 Prozent. Die absolute Zahl der Frauen auf AfD-Listen hat sich von 1.250 auf 2.565 mehr als verdoppelt. Nach wie vor liegt der Anteil – abgesehen vom Stadtstaat Hamburg – im Osten deutlich niedriger als im Westen.
Der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern ist aber nicht mehr so groß wie vor fünf Jahren. Wuchs der Anteil in den vier jetzt wählenden West-Bundesländern von 21,7 auf 23,3 Prozent, steigerte er sich in den fünf Ost-Flächenländern von 14,7 auf 19,4 Prozent.
Da Frauen auf extrem rechten Listen nach wie vor eher hintere Listenplätze bekommen, wird ihr Anteil an den Mandatsträger*innen auch diesmal deutlich niedriger als an den Kandidierenden ausfallen.

Durchschnittsalter
Das Durchschnittsalter[1] der AfD-Kandidierenden liegt (ohne Thüringen, da dort aufgrund der neuen Kommunalwahlgesetzgebung nur punktuell Angaben zum Alter vorliegen) in diesem Jahr bei 54,5 Jahren und damit noch einmal knapp 1,8 Jahre höher als 2019. Nur im Saarland sank das Alter, was als Ausdruck der drastischen Streitigkeiten und daraus folgenden Fluktuationen gewertet werden kann.

Ebenen
Die Präsenz der AfD stellt sich auf den verschiedenen Ebenen unterschiedlich dar. In den Kreisen und kreisfreien Städten stellt sie nur in der Region und der Stadt Saarbrücken – wo sie analog zum Land und der Stadt Bremen zwei konkurrierende Listen eingereicht hat, die beide nicht zugelassen wurden – sowie für den Kreistag Sigmaringen (Baden-Württemberg) keine Kandidat*innen. Vor fünf Jahren fehlte die extrem rechte Partei noch auf den Stimmzetteln für zwölf Gremien dieser Ebene.
In den kreisangehörigen Städten und Gemeinden steht die Partei für jeden sechsten Rat zur Wahl (940 von 5.794). Auf dieser Ebene sind die Unterschiede im Strukturausbau der Partei zwischen den Bundesländern deutlich. Im sehr kleinteilig aufgebauten Rheinland-Pfalz stellt sie in nur gut einem Prozent (26 von 2.289) Listen. In Sachsen-Anhalt (122 von 215) sind es fast 57 Prozent, in Sachsen (254 von 415) sogar mehr als 61 Prozent.

Ähnlich markant fällt der Blick auf die Ebene der Gemeindeteile der verschiedenen Bundesländer aus, wenn auch wohl eher aufgrund unterschiedlicher, strategischer Entscheidungen. Während in den anderen Bundesländern mit direkt gewählten Gremien dieser Ebene nur wenige AfD-Kandidierende zu finden sind, sind vor allem in drei ostdeutschen Bundesländern auffällig viele Antritte zu verzeichnen. In Brandenburg und Sachsen haben sich die Zahlen entsprechender Gremien (von 60 auf 121 bzw. von 63 auf 114) und die der Kandidat*innen (von 104 auf 233 bzw. von 125 auf 259) ungefähr verdoppelt. In Sachsen-Anhalt verdreifachte sich die Zahl der Antritte von 61 auf 170 und die der Kandidat*innen von 108 auf 319 auf dieser Ebene sogar fast. Von den 320 Gremien mit AfD-Kandidatur in Sachsen-Anhalt findet sich somit mehr als die Hälfte in den dort sogenannten Ortschaften. Es ist offensichtlich, dass es hier um die Verankerung der Partei in der Fläche geht.

 »Heimat«, »Freie Sachsen« und Co.
Ihre große Zeit hat »Die Heimat« schon unter ihrem alten Namen NPD hinter sich gehabt. In den westdeutschen Bundesländern tritt sie diesmal fast gar nicht mehr an. Das liegt vermutlich zum Einen daran, dass größere Teile der Landesverbände Saarland und Hamburg die Umbenennung nicht mitmachen wollten und gemeinsam mit einigen Kameraden in Bayern, Hessen und anderen Ländern die NPD unter altem Namen weiterführen. Lediglich in Sinsheim (Baden-Württemberg) haben sich nach dem Tod der Altkader Jürgen Schützinger (»Deutsche Liga für Volk und Heimat«, Villingen-Schwenningen) und Günter Deckert (»Deutsche Liste«, Weinheim) drei Neonazis für die Weiterführung der »Deutschen Liste« in Stadt und Ortschaft gefunden.
In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt treten immerhin noch 154 Personen auf Listen der »Heimat« oder ihr nahestehender Listen für 57 Gremien an.
Zwei Sonderfälle sind hier Thüringen und Sachsen. In Thüringen bringen es »Die Heimat« und das »Bündnis Zukunft Hildburghausen« (BZH) um Tommy Frenck auf zusammen mindestens 162 Kandidat*innen für 31 Gremien, davon 82 für 14 Gremien allein für das BZH. Die AfD kommt im Landkreis Hildburghausen nur auf 32 Kandidierende für zwei Gremien.

In Sachsen treten nur 47 Personen für »Die Heimat« oder auf den bekannten, ihr nahestehenden Listen an, etwa in Gelenau, Geithain, Jahnsdorf und Sebnitz. Auf Kreisebene fehlt die Ex-NPD auf den ersten Blick ganz. Ihre Kader finden sich aber auf den flächendeckenden Listen der »Freien Sachsen« für die Kreistage und Räte der kreisfreien Städte.
Insgesamt tritt die neue Sammlungsbewegung rechts der AfD mit 709 Kandidat*innen für 67 Gremien an. Das ist nicht wenig, aber sicher deutlich unter dem Niveau, das sie sich selbst vorgestellt haben. Der Ausgang der Kommunalwahlen wird für »die Freien Sachsen« wichtig, wenn es um einen möglichen Antritt zur Landtagswahl im September geht.
Der »Dritte Weg« tritt diesmal nur in Brandenburg mit wenigen Kandidat*innen an. Selbst in Plauen und für den Kreistag Vogtland, wo die Neonazipartei 2019 je ein Mandat holte, fehlt sie auf den Stimmzetteln. Und auch der Parteigründer Klaus Armstroff verzichtet in Weidenthal (Landkreis Bad Dürkheim, Rheinland-Pfalz) diesmal auf eine Kandidatur.

Sonstige
Auch wenn AfD (und die »Freien Sachsen«) weite Teile der extremen Rechten aufgesaugt haben, gibt es darüber hinaus eine Vielzahl anderer Parteien und Listen dieses Spektrums. So finden sich in Sachsen nach wie vor letzte Reste der »Deutschen Sozialen Union« (DSU), in Baden-Württemberg einige Kandidat*innen der »Gerechtigkeitspartei – Team Todenhöfer«, versprengt ein paar Funktionär*innen des »Bündnis Deutschland«, und selbst die »Deutsche Volksunion Rhein-Pfalz e.V.« existiert noch. Auch einige christliche Fundamentalist*innen von Wählervereinigungen oder der Partei »Bündnis C« treten punktuell an. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werben außerdem einige Listen türkischer Nationalist*innen wie vom »Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit« (BIG) um Stimmen.
Aus dem verschwörungsideologischen Spektrum treten einige Listen an. Wichtigste Akteurin ist hier die Partei »dieBasis«, die insgesamt auf mindestens 179 Kandidat*innen für 34 Gremien kommt. Schwerpunkt ist hier Baden-Württemberg mit mindestens 92 Kandidat*innen. Die anderen »dieBasis«-Funktionär*innen finden sich in Ostdeutschland. In Thüringen bilden sie teilweise gemeinsame Listen mit dem »Bündnis für Thüringen e.V.«. Die gleichnamige Partei hatte sich aufgelöst, nachdem Pläne für einen gemeinsamen Antritt zur Landtagswahl mit den »Freien Wählern Thüringen e.V.« und »dieBasis« scheiterten.
Die Streitigkeiten innerhalb der Partei »dieBasis« führten zu einer Reihe von Austritten. Auch einige zwischenzeitlich für »dieBasis« aktive Mandatsträger*innen treten nicht an. Der Zerfallsprozess der Partei geht weiter.

Im Vergleich mit früheren Jahren finden sich relativ wenige Ex-AfDler wie die nach dem mittlerweile parteilosen AfD-MdB benannte »Aktion Robert Farle« in seinem Wohnort Seegebiet Mansfelder Land (Landkreis Mansfeld-Südharz/Sachsen-Anhalt).
Parallel zu den Kommunalwahlen finden diverse Direktwahlen von Landrät*innen, (Ober-)Bürgermeister*innen und Ortsvorsteher*innen statt. Mindestens für 81 dieser Posten treten AfD-Kandidat*innen an.
Auch Vertreter*innen von »dieBasis«, der »WerteUnion« und anderen extrem rechten Parteien können gewählt werden. Für »Die Heimat« tritt im Ortsteil Gohrau von Oranienbaum-Wörlitz (Landkreis Wittenberg, Sachsen-Anhalt) Benjamin Focke bei der Wahl des Ortsvorstehers an. Er ist der einzige Kandidat, seine Wahl also sicher. Vor einiger Zeit hatte er den Posten schon kommissarisch inne.

Thüringen
Die Ergebnisse der Wahlen lassen für den 9. Juni nichts Gutes erwarten. Die AfD konnte die Zahl ihrer Mandate von 365 vor fünf Jahren um 80 Prozent auf mindestens 657 steigern. »Die Heimat« konnte ihr Ergebnis von 2019 (41 Sitze) mit mindestens 37 Mandaten nahezu halten. Allein 25 (2019: 14) davon gehen auf das Konto des BZH, was sicher nicht nur an der weitgehend fehlenden Konkurrenz durch die AfD lag. Wie normal die Wahl von Neonazis im Landkreis mittlerweile ist, zeigen nicht nur die fast 25 Prozent, die Tommy Frenck als Landratskandidat – ohne AfD-Konkurrenz – holte. Bei den Kreistagswahlen holten Linke und SPD zusammen 11,5 Prozent, das BZH 11,9 Prozent – trotz AfD, die auf 18,1 Prozent kam.
Mit der »Thüringer Heimatpartei« holte außerdem die Partei des ehemaligen NPD-Funktionärs  Timo Pradel zwei Mandate in Friedrichroda (Landkreis Gotha).
Die »WerteUnion« kam bei ihren ersten Wahlantritten auf vier Sitze – so wenige, dass selbstredend sofort Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahlen angemeldet wurden.

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Prognose
Bei Ergebnissen nahe der aktuellen Umfragewerte könnte sich die Zahl der Mandate in den neun Bundesländern von 3.336 vor fünf Jahren verdoppeln. Da Bundesthemen auf lokaler Ebene teilweise weniger relevant für die Wahlentscheidung sind, wird die Zahl aber wohl eher auf ungefähr 6.000 steigen, sodass die bundesweite Zahl bei etwa 8.000 liegen wird.

Presseberichte der letzten Tage, die von einem »Brechen der blauen Welle« oder Ähnlichem sprechen, mögen sich auf noch schlimmere Befürchtungen beziehen. Trotzdem ist jede Erleichterung fehl am Platz. Im Gegenteil: Jedes Kleinreden verharmlost die Gefahr. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen werden die Verankerung der extremen Rechten weiter vorantreiben. Unabhängig von den Landtagswahlen des Spätsommers, wird dies – nicht zuletzt durch hunderte bezahlte Mitarbeitende der Fraktionen größerer Kommunen – auch und vor allem in der politischen Realität in weiten Teilen (nicht nur) der ostdeutschen Fläche auf Jahre hinaus progressive Mehrheiten verunmöglichen. Es steht zu befürchten, dass von Union über Liberale und BSW bis weit in die politische Linke – ganz an Sachfragen orientiert, versteht sich – auch weiter rechte Ideologeme aufgegriffen und damit gestärkt werden. Immerhin können jetzt endlich die unbequemen Zugeständnisse entsorgt werden, die Konservativen in mehr als 30 Jahren Nachwendezeit abgetrotzt wurden. So verkommt das Gerede vom Dagegenhalten zur Alibi-Phrase, und die angebliche »Brandmauer« wandelt sich zur Feuerwalze.

[1] Da nur die Geburtsjahre bekannt sind, wird hilfsweise davon ausgegangen, dass alle am Wahltag Geburtstag haben.