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Redaktion
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 202 - Mai | Juni 2023

Liebe Leser*innen,
am 29. Mai 2023 jährt sich der rassistische Brandanschlag auf das Wohnhaus der Familie Genç in Solingen zum 30. Mal. Fünf Frauen und Mädchen starben in den Flammen oder bei ihrem verzweifelten Sprung aus dem Fenster. Es war einer der schlimmsten Anschläge in einer Zeit, in der an fast jedem Wochenende Häuser und Geschäfte von Migrant*innen brannten.

Antifa Magazin der rechte rand
#derrechterand Ausgabe 202 zu Solingen, Rassismus, Angriffe auf Flüchtlinge,


Für viele Deutsche ohne Migrationsgeschichte war Solingen aber bald vergessen. Die Tat wurde allenfalls einer Reihe von Ortsnamen – Rostock, Hünxe, Mölln – hinzugefügt, die stellvertretend für die Gewalt der frühen 1990er Jahre standen, aber auch reichlich abstrakt blieben. Diejenigen, die von Rassismus und Gewalt betroffen waren, konnten »Solingen« nicht so einfach ausblenden ebenso wenig wie die alltäglichen Diskriminierungen und Anfeindungen. Viele berichteten von der Angst um das eigene Leben und das der Angehörigen, die damals viele erfasst hatte. Andere, gerade Jüngere, politisierten sich und setzten sich zur Wehr. »So wie der Tod Benno Ohnesorgs eine ganze Generation politisiert hat«, sagte der Anwalt Mehmet Daimagüler 2012 gegenüber der taz, »haben die rechtsextremen Anschläge von Mölln und Solingen und die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda eine Generation von Deutschtürken politisiert«.

Heute ist, so scheint es, das Erinnern an den Anschlag von Solingen so präsent wie nie. Dies ist in erheblichem Maße den beharrlichen Bemühungen von migrantischen Aktivist*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Angehörigen zuzurechnen, die die Tat in die Öffentlichkeit bringen. Hier macht sich ein gesellschaftlicher Wandel bemerkbar, in dem mehr Raum für die Erinnerung an extrem rechte und rassistische Gewalt eingefordert wird.

Weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung laufen die zahlreichen Anschläge, Übergriffe und Mobilisierungen gegen Geflüchtete. 2022 wurde erstmals seit 2015 wieder eine Zunahme von Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte registriert. Vor Ort gibt es allerdings erhebliche Unterschiede und allgemeine Entwicklungen lassen sich noch nicht ausmachen. Wir richten in dieser Ausgabe den Blick nach Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Eine weiterhin genaue Dokumentation und Analyse dieser Vorfälle ist notwendig. Wir beschäftigen uns zudem mit der »Neuen Rechten« – eine ihrer regelmäßigen Veröffentlichungen, die »Sezession« erscheint seit nunmehr 20 Jahren. Auch der Rezeption und Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine widmen wir uns: Wie positioniert sich mittlerweile die »Alternative für Deutschland«? Und warum ist der ehemalige Brigadegeneral der Bundeswehr, Erich Vad, so interessant für die Rechte und das anti-westlich orientierte Spektrum der sogenannten Friedensbewegung? Und last, in diesem Falle auch least, schauen wir uns die inzwischen zur Kleinstpartei geschrumpfte NPD sowie die RechtsRock-Szene und ihre Entwicklung nach der Corona-Pandemie an.

Eine anregende Lektüre wünscht Euch die Redaktion