Anti-Einwanderungspartei PVV gewinnt Wahlen

von John Postma
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 207 - März | April 2024

Antifa Magazin der rechte rand
Geert Wilders © Roland Geisheimer / attenzione

»Das niederländische Volk hat gesprochen«, sagte Geert Wilders nach dem Wahlsieg der »Partij voor de Vrijheid« (»Partei für die Freiheit«, PVV) im November 2023. Mit 23,5 Prozent wurde die PVV die stärkste Partei. »Rechts-Rutsch in Holland!«, titelte Bild in Deutschland. Bis zwei Wochen vor der Wahl gab es in den Umfragen keine Anzeichen auf den bevorstehenden Sieg der PVV. Doch je näher der Wahltag rückte, desto unüberhörbarer wurden die Signale in den Wahlumfragen – die PVV wird sehr gut abschneiden. Die Partei gehört seit vielen Jahren zu den größeren Parteien in den Niederlanden, aber warum jetzt dieser Erfolg? Wilders und seine Partei haben eine treue Basis von Anhänger*innen und konnten aktuell neue hinzugewinnen. Eine Woche vor den Wahlen wusste fast die Hälfte der neuen Wähler*innen nicht, welche Partei sie wählen werden. Zwei von drei neuen PVV-Wähler*innen änderten ihre Meinung in der Woche vor den Wahlen, während ein Drittel ihre Entscheidung in den letzten zwei Tagen vor dem Wahltag traf. Ausschlaggebend für die Wahl der PVV war das zentrale Thema der Einwanderungsfrage. Alte und neue Wähler*innen wollen weniger Einwanderung, dieser Wunsch deckt sich mit dem thematischen Schwerpunkt der PVV.

»Asylkrise«
Seit dem Sommer 2022 befinden sich die Niederlande in einer »Asylkrise«. Das Kabinett von Mark Rutte und seiner liberalen Partei »Volkspartij voor Vrijheid en Democratie« (»Volkspartei für Freiheit und Demokratie«, VVD) war der Ansicht, die Situation durch eine Reduzierung der Aufnahmeorte für Flüchtlinge und der bearbeitenden Institutionen entschärfen zu können. Der Krieg in der Ukraine und der Bürgerkrieg in Syrien lösten aber neue Fluchtbewegungen aus, die Strategie der Regierung funktionierte nicht. Ohne Aussicht auf eine Lösung der Probleme entschloss sich das Kabinett zum Rücktritt. Für den 23. November 2023 wurden Neuwahlen angesetzt. Sowohl bei der VVD und der PVV dominierte das Thema Einwanderung den Wahlkampf. Letztere hat dieses auch drastisch in ihrem Wahlprogramm festgeschrieben: »Die PVV hat gesunden Menschenverstand in Bezug auf die gescheiterte Flüchtlingspolitik. Wir haben die besten Ideen wie einen totalen Einwanderungsstopp.« und weiter: »Wir erkennen unsere eigenen Stadtteile und Städte nicht mehr wieder, (…). Wir müssen die Niederlande wieder zurückerobern. Die Schließung der Grenzen für Wohlstandssuchende aus anderen Kulturen ist eine Notwendigkeit.«

Eigene Leute zuerst
»Die Niederlande müssen wieder uns gehören!« Mit diesem Slogan war die PVV 2017 in den damaligen Wahlkampf gestartet. Zentrale Themen dieser Kampagne waren die angebliche Islamisierung der Niederlande und die »Masseneinwanderung«. Die PVV gewann bei dieser Wahl 15,5 Prozent. Eine Legislaturperiode später, im Jahr 2022, setzte die Partei auf den Slogan »Die Niederlande müssen an erster Stelle stehen«. Wilders argumentierte in einem Wahlkampfvideo, dass die Niederlande eigene Probleme hätten und er deshalb die Entwicklungshilfe einstellen wolle. »Unser Kabinett schickt Millionen von Euro nach Afrika, in bankrotte Länder in Südeuropa und in der Zwischenzeit leiden Sie als Niederländer. Das Geld ist unser Steuergeld und sollte unseren eigenen Leuten gegeben werden. Die Niederlande müssen wieder an die erste Stelle gesetzt werden.« Die Strategie zahlte sich nicht aus, Wilders Partei verlor fünf Prozent. Im Jahr 2023 verschärfte die PVV den Ton mit einer neuen Kampagne: »Die Niederländer müssen an erster Stelle stehen«, ein Euphemismus für den rassistischeren Slogan »Das eigene Volk zuerst«. Einige Zitate aus dem Wahlprogramm der PVV machen dies noch deutlicher. »Es ist völlig absurd, dass die Politiker in Den Haag das Wohlergehen von Flüchtlingen und anderen Einwanderern an die erste Stelle setzen und nicht das Wohlergehen der Niederländer. Asylbewerber erhalten kostenlose Mahlzeiten in schönen Unterkünften, während sich die Niederländer keine Einkäufe leisten können. Die Niederländer können sich die teure Gesundheitsversorgung nicht leisten, während die Asylbewerber sie kostenlos erhalten. (…) Flüchtlinge, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, werden bei der Unterbringung unseren eigenen Niederländern vorgezogen.«

Abstimmungsverhalten
Die Gruppe der neuen PVV-Wähler*innen findet sich in den von der PVV während des letzten Wahlkampfes geschürten Emotionen wieder. Auch sie wollen nicht, dass die liberale Partei und/oder die Sozialist*innen und Sozialdemokrat*innen wieder an die Macht kommen. Dies kann als Proteststimme gesehen werden, die die Frage der Einwanderung als eine Art Referendum betrachtet. Der andere Teil muss aus einem anderen Blickwinkel erklärt werden. Aus einer Wahlforschung ging hervor, dass ein größerer Teil der PVV-Wähler*innen über eine niedrige und gewerbliche Ausbildung verfügt. Diese Gruppe sieht sich selbst als Teil der Arbeiter*innenklasse. Sie wird in der Studie »Linksautoritäre und politische Repräsentation in Westeuropa« als gespalten beschrieben. Auf der einen Seite gibt es die kulturell Progressiven und auf der anderen Seite die kulturell Konservativen. Kulturprogressive stehen der kulturellen Vielfalt positiv gegenüber und sind offen für Flüchtlinge. Die Kulturkonservativen möchten die Grenzen schließen und wollen, dass sich Migrant*innen an die niederländische Kultur anpassen. Die Studie zeigt das Dilemma linker Kulturkonservativer bei Wahlen: Wählen sie eine linke Partei, die ihnen in wirtschaftlicher Hinsicht nähersteht, aber in kulturellen Fragen weit entfernt ist, oder eine rechte Partei, die ihnen in kulturellen Fragen nähersteht, aber in wirtschaftlichen Fragen weit entfernt ist? Bei den letzten Wahlen in den Niederlanden stand die Frage der Einwanderung auf der Tagesordnung. Migration ist für den größten Teil der Wähler*innenschaft ein Thema der rechten und rechtsradikalen Parteien. Aus einer niederländischen Wahlumfrage ging hervor, dass 63 Prozent der PVV-Wähler*innen die Partei wegen ihrer Haltung zur Einwanderung und zu Flüchtlingen wählten.

Autoritäre One-Man-Show
Die Analyse der Nationaal Kiezersonderzoek (Nationale Wählerumfrage) besagt, dass eine relevante Gruppe von Wechselwähler*innen sich letztendlich zum ersten Mal für die PVV entschieden hat. In den Wochen vor den Wahlen wollte diese Gruppe für die neue sozialkonservative Partei »BoerBurgerBeweging« (»BauerBürgerBewegung«, BBB) oder den Ableger der Christdemokraten, den Nieuw Sociaal Contract (Neuer Gesellschaftsvertrag), stimmen. Der größte Teil dieser Wechselwähler*innen hatte bei den letzten Wahlen zur Ersten Kammer für die BBB gestimmt. Wilders profitierte auch durch Stimmenwanderungen von Parteien wie Socialistische Partij (Sozialistische Partei), VVD, Partij voor de Dieren (Partei für die Tiere) und rechtsradikaler Parteien wie »Forum voor Democratie«. Auffallend ist, dass viele junge Menschen für die PVV gestimmt haben. Die Älteren sehen sie als eine rechtsradikale Partei, während die Jüngeren in ihr eine normale Partei mit einem Führer sehen, der in der Lage ist, die Verhältnisse in Den Haag mit Worten zu erschüttern. Aber, die PVV ist alles andere als eine normale Partei. Seit ihrer Gründung 2006 ist sie eine Ein-Mann-Show von Wilders. Er ist Vorsitzender, Sekretär und Schatzmeister der Partei mit nur einem einzigen Mitglied: Geert Wilders.

Zusammenarbeit
Mark Rutte gewann mit der VVD 2010 die Wahlen in den Niederlanden und bildete mit den Christdemokraten (CDA) eine von der PVV tolerierte Minderheitsregierung. Zwei Jahre später, im November 2012, zog die PVV im Streit um den Haushalt ihre Unterstützung zurück und das Kabinett wurde aufgelöst. Bei den darauffolgenden Wahlen – aus denen die VVD als Siegerin hervorging – schloss Rutte eine Zusammenarbeit mit der PVV von vornherein aus. Aus Studien geht hervor, dass sich die gesellschaftlichen Normen für das, was akzeptabel ist, ändern, wenn Parteien der rechten Mitte die Standpunkte von rechtsradikalen Parteien übernehmen. Außerdem haben die Menschen das Gefühl, es sei akzeptabel, für rechtsradikale Parteien, in diesem Fall die PVV, zu stimmen, wenn diese nicht durch demokratische Parteien von der Zusammenarbeit ausgeschlossen werden. Dies war auch bei den letzten Wahlen der Fall. Die neue VVD-Vorsitzende Dilan Yesilgöz schloss im Gegensatz zu ihrem Vorgänger die PVV nicht von einer möglichen Zusammenarbeit aus. Das wurde von Wilders registriert.

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Mit mildem Ton erfolgreich
Seit ihrer Gründung vertrat die PVV stets einen harten, durch Rassismen und Ressentiments geprägten Standpunkt zum Islam und zur Einwanderungspolitik. Seit 2010 gehört sie zu den größten Parteien in den Niederlanden. Wer das letzte Parteiprogramm gelesen hat, weiß, dass sich die Partei nicht verändert hat, auch wenn Wilders – vorgeblich – ein milder Partner geworden ist. Die PVV will immer noch antidemokratische Maßnahmen wie das Verbot von Koranschulen, Moscheen und das Tragen von Kopftüchern in Regierungsgebäuden. Zurzeit gibt Wilders vor, dass es wichtigere Probleme gebe, die gelöst werden müssen, als den Islam zu bekämpfen. Dazu gehören Einwanderung, Gesundheitsversorgung und Existenzsicherung. »Wir denken immer noch, was wir denken«, sagte Wilders bei der Vorstellung des Wahlprogramms, »aber der scharfe Ton ist ein bisschen weicher geworden«. Während des Wahlkampfes hat Wilders seinen milden Ton beibehalten, der ihm geholfen hat, fast 2,5 Millionen Wähler*innen davon zu überzeugen, für die PVV zu stimmen. Bis jetzt sind jedenfalls die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung gescheitert. Um die Gespräche zu vereinfachen, hat Wilders seinen Verzicht auf das Amt des Ministerpräsidenten und Regierungschefs erklärt. Das wirkt, wie aktuelle Umfragen zeigen, nicht zum Nachteil der PVV. Im Gegenteil, auf nationaler Ebene hat sie zugelegt und rangiert bei über 30 Prozent. Ähnliches gilt für die anstehende Wahl des EU-Parlaments. Nach jetzigem Stand führt die PVV die Umfragen an und kann mit einem Viertel der 31 Sitze rechnen, die den Niederlanden zustehen. Gute Aussichten für eine Partei, die zuletzt von 2014 bis 2019 im EU-Parlament vertreten war und – inspiriert vom Brexit – ein Referendum über den »Nexit« fordert. Die andere Gewinnerin des Rechtsrucks, die »BoerBurgerBeweging«, konnte ihren Erfolg bei den Senatswahlen 2023 nicht wiederholen. Die Umfragen sehen sie bei etwa vier Prozent. Das ist auch das Potenzial, das die BBB mit 4,7 Prozent bei den Parlamentswahlen ausschöpfen konnte. Mehr scheint für die Partei nicht drin zu sein, die sich als Interessenvertretung der Landwirtschaft aufspielt. Ein Hinweis für die derzeit in den großen europäischen Agrarstaaten protestierenden Landwirt*innen – offenbar ist der politische Erfolg größer, wenn man sich an bestehenden konservativen und rechtsradikalen Parteien orientiert, als eine eigene Partei neu zu gründen.